Begleitpost zu Aeneis, Buch 09
Die Textstellen, die wir in dieser Folge genauer besprechen, sind:
Aen. 9.128–158
'Troianos haec monstra petunt, his Iuppiter ipse
auxilium solitum eripuit: non tela neque ignis
exspectant Rutulos. ergo maria inuia Teucris,
nec spes ulla fugae: rerum pars altera adempta est,
terra autem in nostris manibus, tot milia gentes
arma ferunt Italae. nil me fatalia terrent,
si qua Phryges prae se iactant, responsa deorum;
sat fatis Venerique datum, tetigere quod arua
fertilis Ausoniae Troes. sunt et mea contra
fata mihi, ferro sceleratam exscindere gentem
coniuge praerepta; nec solos tangit Atridas
iste dolor, solisque licet capere arma Mycenis.
“sed periisse semel satis est”: peccare fuisset
ante satis, penitus modo non genus omne perosos
femineum. quibus haec medii fiducia ualli
fossarumque morae, leti discrimina parua,
dant animos; at non uiderunt moenia Troiae
Neptuni fabricata manu considere in ignis?
sed uos, o lecti, ferro qui scindere uallum
apparat et mecum inuadit trepidantia castra?
non armis mihi Volcani, non mille carinis
est opus in Teucros. addant se protinus omnes
Etrusci socios. tenebras et inertia furta
Palladii caesis late custodibus arcis
ne timeant, nec equi caeca condemur in aluo:
luce palam certum est igni circumdare muros.
haud sibi cum Danais rem faxo et pube Pelasga
esse ferant, decimum quos distulit Hector in annum.
nunc adeo, melior quoniam pars acta diei,
quod superest, laeti bene gestis corpora rebus
procurate, uiri, et pugnam sperate parari.'
“Diese Zeichen richten sich gegen die Trojaner, ihnen hat Iuppiter selbst die gewohnte Unterstützung versagt: Weder auf Pfeile noch Feuer von rutulischer Seite müssen sie länger warten. Das Meer ist den Teukrern jetzt verschlossen, sie haben keine Hoffnung mehr auf Flucht: Die zweite Hälfte der Welt ist ihnen genommen, das Land hingegen ist in unserer Hand – so viele tausend Männer der italienischen Völker stehen unter Waffen!
Die Schicksalssprüche der Götter, wenn die Phryger damit prahlen, schrecken mich gar nicht. Genug ist Venus und dem Fatum damit getan, dass die Trojaner den Boden des fruchtbaren Italien berührt haben. Auf der anderen Seite habe auch ich mein Schicksal: mit dem Schwert das verdammte Volk zu vernichten, das mir meine Ehefrau geraubt hat. Nicht nur die Atriden lassen sich von solcher Demütigung rühren, nicht nur Mykene darf da zu den Waffen greifen.
“Aber es ist doch genug, einmal vernichtet worden zu sein!” Es wäre auch genug gewesen, vorher Ehebruch begangen zu haben; und dann beinahe alle Frauen auf einmal zutiefst zu hassen. Mut verschaffen ihnen das Vertrauen auf diesen Wall dazwischen, auf den Graben als Hindernis, eine schmale Abgrenzung nur zum Tod. Aber haben sie nicht die Mauern Trojas, von Neptuns Hand zusammengefügt, in Feuer versinken sehen? Ihr jedoch, Auserwählte – wer von euch ist bereit, mit dem Schwert den Wall einzureißen, und stürmt mit mir das erzitternde Lager?
Ich brauche keine Waffen Vulcans, keine 1000 Schiffe gegen die Trojaner. Sollen sich ruhig gleich alle Etrusker zu ihren Verbündeten erklären. Dunkelheit und feigen Diebstahl des Palladiums, den ausschweifenden Mord an den Wachen der Burg müssen sie nicht fürchten, und wir werden uns auch nicht im finsteren Bauch eines Pferdes verbergen: Bei hellem Tageslicht wollen wir, so viel ist sicher, ihre Mauern mit Feuer umzingeln.Ich will dafür Sorge tragen, dass sie nicht länger vor sich hertragen, sie hätten Krieg mit den Danaern und den Erben der Pelasger, den Hektor ins zehnte Jahr verschleppt hat.
Jetzt aber, weil ja der Gutteil des Tages schon vorbei ist, nützt das, was davon noch übrig ist, zur Erholung eurer Körper, froh über die schönen Erfolge, ihr Männer, und hofft, dass die Schlacht bald beginnt.”
Aen. 9.424–449
tum uero exterritus, amens,
conclamat Nisus nec se celare tenebris
amplius aut tantum potuit perferre dolorem:
'me, me, adsum qui feci, in me conuertite ferrum,
o Rutuli! mea fraus omnis, nihil iste nec ausus
nec potuit; caelum hoc et conscia sidera testor;
tantum infelicem nimium dilexit amicum.'
talia dicta dabat, sed uiribus ensis adactus
transadigit costas et candida pectora rumpit.
uoluitur Euryalus leto, pulchrosque per artus
it cruor inque umeros ceruix conlapsa recumbit:
purpureus ueluti cum flos succisus aratro
languescit moriens, lassoue papauera collo
demisere caput pluuia cum forte grauantur.
at Nisus ruit in medios solumque per omnis
Volcentem petit, in solo Volcente moratur.
quem circum glomerati hostes hinc comminus atque hinc
proturbant. instat non setius ac rotat ensem
fulmineum, donec Rutuli clamantis in ore
condidit aduerso et moriens animam abstulit hosti.
tum super exanimum sese proiecit amicum
confossus, placidaque ibi demum morte quieuit.
Fortunati ambo! si quid mea carmina possunt,
nulla dies umquam memori uos eximet aeuo,
dum domus Aeneae Capitoli immobile saxum
accolet imperiumque pater Romanus habebit.
Da aber verfiel Nisus in Panik und außer sich schrie er, als er sich nicht länger in der Dunkelheit verstecken und den gewaltigen Schmerz ertragen konnte: “Ich, ich war es, hier bin ich, gegen mich richtet euer Schwert, ihr Rutuler! Das ist alles mein Hinterhalt, er hat es nicht gewagt und hätte es wuch nicht gekonnt – beim Himmel und den Sternen, die zusehen, bezeuge ich dies! Er hat nur seinen verdammten Freund zu sehr geliebt.”
So sprach er noch, doch da wurde das Schwert mit Kraft gestoßen, durchdrang die Rippen und riss die weiße Brust entzwei. Euryalus wälzte sich im Tod, über seine schönen Glieder fließt das Blut und sein Hals sinkt erschöpft auf die Schultern: Wie wenn eine rote Blüte, abgeschnitten vom Pflug, sterbend ermattet, oder wenn Mohn das Haupt auf den schlaffen Hals senkt, wenn er vom Regen schwer wird.
Aber Nisus stürzt sich mitten in die Feinde, und durch alle hindurch will er nur zu Volcens, Volcens alleine fixiert er. Die Feinde kreisen ihn ein und stoßen im Nahkampf mal von hier, mal von da vor. Unbeirrt kämpft er weiter an und wirbelt sein funkelndes Schwert, bis er es in den ihm zugewandten Mund des brüllenden Rutulers versenkt und selbst sterbend dem Feind die Seele entreißt.
Dann warf er sich über den toten Freund, durchbohrt, und hier erst kam er in angenehmem Tod zur Ruhe.
Ihr beiden Glücklichen! Wenn mein Gesang irgendetwas vermag, dann wird kein Tag euch jemals aus dem Gedächtnis der Jahrhunderte streichen, solange die Familie des Aeneas den unverrückbaren Felsen des Kapitols bewohnt und der römische Vater die Herrschaft innehat.
Aen. 9.638–663
Aetheria tum forte plaga crinitus Apollo
desuper Ausonias acies urbemque uidebat
nube sedens, atque his uictorem adfatur Iulum:
'macte noua uirtute, puer, sic itur ad astra,
dis genite et geniture deos. iure omnia bella
gente sub Assaraci fato uentura resident,
nec te Troia capit.' simul haec effatus ab alto
aethere se mittit, spirantis dimouet auras
Ascaniumque petit; forma tum uertitur oris
antiquum in Buten. hic Dardanio Anchisae
armiger ante fuit fidusque ad limina custos;
tum comitem Ascanio pater addidit. ibat Apollo
omnia longaeuo similis uocemque coloremque
et crinis albos et saeua sonoribus arma,
atque his ardentem dictis adfatur Iulum:
'sit satis, Aenide, telis impune Numanum
oppetiisse tuis. primam hanc tibi magnus Apollo
concedit laudem et paribus non inuidet armis;
cetera parce, puer, bello.' sic orsus Apollo
mortalis medio aspectus sermone reliquit
et procul in tenuem ex oculis euanuit auram.
agnouere deum proceres diuinaque tela
Dardanidae pharetramque fuga sensere sonantem.
ergo auidum pugnae dictis ac numine Phoebi
Ascanium prohibent, ipsi in certamina rursus
succedunt animasque in aperta pericula mittunt.
Von der Höhe des Aether aus blickte der langhaarige Apollon zufällig gerade hinab auf die Heere in Italien und auf die Stadt, sitzend auf einer Wolke, und so sprach er den siegreichen Ascanius an: “Bravo und Gratulation zu diesem neuen Heldenmut, mein Junge. So kommt man in den Olymp, Sohn von Göttern, der du selbst Götter zu Söhnen haben wirst. Mit Recht werden alle Kriege, die vom Schicksal bestimmt passieren werden werden, unter dem Geschlecht des Assaracus zur Ruhe kommen, und Troja ist zu klein für dich.”
Kaum hatte er so gesprochen, glitt er vom hohen Aether herab, teilt die wehenden Lüfte und geht zu Ascanius; das Strahlen seines Antlitz wechselt er in die Gestalt des alten Butes. Dieser war der Knappe des Dardaners Anchises gewesen und der treue Wächter der Schwelle; später stellte der Vater ihn dem Ascanius als Gefährten zur Seite.
Apollon schritt, in jeder Hinsicht dem Greis gleich, an Stimme, Farbe, an weißen Haaren und an Waffen mit grausigem Klang, und mit folgenden Worten sprach er den glühenden Ascanius an:
“Es soll genug sein, Sohn des Aeneas, dass du Numanus mit deinen Waffen straflos bekämpft hast. Der große Apollon gesteht dir diese erste Auszeichnung zu und ist dem ebenbürtigen Kampf nicht missgünstig. Sonst aber lass den Krieg sein, mein Junge.”
So begann Apollon und entzog sich mitten in der Rede dem Blick des Sterblichen, und in der Ferne verschwand er aus der Sicht in klare Luft. Die dardanischen Anführer erkannten den Gott, die göttlichen Waffen, und den klirrenden Köcher hörten sie, als er sich zurückzog. Also hielten sie aufgrund der Worte und Macht von Phoebus Ascanius zurück, der auf den Kampf gierte. Sie selbst kehrten wieder ins Gefecht zurück und setzen ihr Leben der offenen Gefahr aus.
(Unsere) Textausgabe
P. Vergilii Maronis opera, ed. R. A. B. Mynors, Oxford 1969.
Bibliographie
A. W. Allen. “The Dullest Book of the Aeneid”. In: The Classical Journal 47.3 (1951), 119–123.
W. S. Anderson. “Virgil’s Second Iliad”. In: Harrison 1990, 239–252.
R. G. Austin. “Aeneidos Liber Primus. With a commentary by R. G. Austin”. Oxford 1971.
R. G. Austin. “Aeneidos Liber Secvndvs. With a commentary by R. G. Austin”. Oxford 1964.
D. H. Berry. “The Criminals in Virgil’s Tartarus: Contemporary Allusions in Aeneid 6.621–4”. In: The Classical Quarterly 42.2 (1992), 416–420.
F. Cairns. “Virgil’s Augustan Epic”. Cambridge 1989.
S. Casali. “The Theophany of Apollo in Vergil, Aeneid 9. Augustanism and Self-Reflexivity”. In: L. Athanassaki, R.P. Martin, J.F. Miller. “Apolline Politics and Poetics: International Symposium”. Athen 2009, 299–325.
S. Casali. “Aeneas and the Doors of the Temple of Apollo”. In: The Classical Journal 91.1 (1995), 1–9.
R. Dunkle. “Games and Transition: ‘Aeneid’ 3 and 5”. In: The Classical World 98.2 (2005), 153–178.
D. C. Feeney. “The Taciturnity of Aeneas”. In: Harrison 1990, 167–190.
D. C. Feeney. “History and Revelation in Vergil’s Underworld”. In: The Cambridge Classical Journal 32 (1986), 1-24.
A. Feldherr. “Ships of State. Aeneid 5 and Augustan Circus Spectacle”. In: Classical Antiquity 14.2 (1995), 245–265.
W. Fitzgerald. “Aeneas, Daedalus and the Labyrinth”. In: Arethusa 17.1 (1984), 51–65.
E. Fraenkel. “Some Aspects of the Structure of Aeneid 7”. In: Harrison 1990, 253–276.
L. Fratantuono & R. A. Smith. “Virgil, Aeneid 8. Text, Translation and Commentary”. Leiden–Boston 2018.
L. Fratantuono & R. A. Smith. “Virgil, Aeneid 5. Text, Translation and Commentary”. Leiden–Boston 2015.
L. Fratantuono. “A Brief Reflection on the Gates of Sleep”. In: Latomus 66.3 (2007), 628–635.
G. K. Galinsky. “Aeneid V and the Aeneid”. In: The American Journal of Philology 89.2 (1968), 157–185.
J. Glenn. “Virgil’s Polyphemus”. In: Greece & Rome 19.1 (1972), 47–59.
G. P. Goold. “Servius and the Helen Episode”. In: Harrison 1990, 60–126.
Philip Hardie. “Virgil. Aeneid Book IX.” Cambridge Greek and Latin Classics (1994).
E. L. Harrison. “Divine Action in Aeneid Book 2.” In: Harrison 1990, 46–59.
S. J. Harrison. “Oxford Readings in Vergil’s Aeneid”. Oxford 1990.
D. Hershkowitz. “The ‘Aeneid’ in ‘Aeneid’ 3”. In: Vergilius 37 (1991), 69–76.
P. Holt. “Aeneid V. Past and Future”. In: The Classical Journal 75.2 (1979), 110–121.
N. Horsfall. “Dido in the Light of History”. In: Harrison 1990, 127–44.
N. Horsfall. “Numanus Remulus: Ethnography and Propaganda in Aeneid 9.598ff”. In: Harrison 1990, 305–315.
N. Horsfall. "Virgil, Aeneid 3. A Commentary." Mnemosyne Supplements 273. Leiden 2006.
N. Horsfall. "Virgil, Aeneid 6. A Commentary." Berlin/Boston 2014.
N. Horsfall. "Virgil, Aeneid 7. A Commentary." Mnemosyne Supplements 198. Leiden 1999.
W. R. Johnson. “Darkness Visible. A Study of Vergil’s Aeneid”. Berkeley/Los Angeles/London 1976.
R. B. Lloyd. “Aeneid III: A New Approach”. In: The American Journal of Philology 78.2 (1957), 133–151.
R. O. A. M. Lyne. “Vergil and the Politics of War”. The Classical Quarterly 33.1 (1983), 188–203.
R. O. A. M. Lyne. “Further Voices in Vergil’s Aeneid”. Oxford 1992.
R. O. A. M. Lyne. “Vergil’s Aeneid: Subversion by Intertextuality. Catullus 66.39–40 and Other Examples”. Greece & Rome 41.2 (1994), 187–204.
W. S. M. Nicoll. “The Sacrifice of Palinurus”. In: The Classical Quarterly 38.2 (1988), 459–472.
A. Parry. “The Two Voices of Virgil’s ‘Aeneid’”. In: Arion: A Journal of Humanities and the Classics Vol 2 No 4, 1963, 66-80.
M. C. J. Putnam. “The Third Book of the Aeneid: From Homer to Rome”. In: Ramus 9.1 (1980), 1–21.
M. C. J. Putnam. “Unity and Design in Aeneid V”. In: Harvard Studies in Classical Philology 66 (1962), 205–239.
D. Quint. “Painful Memories: ‘Aeneid 3’ and the Problem of the Past” In: The Classical Journal 78.1 (1982), 30–38.
N. Rudd. “Dido’s culpa”. In: Harrison 1990, 145–166.
U. Schmitzer. “Rom im Blick. Lesarten der Stadt von Plautus bis Juvenal”. Darmstadt 2016.
F. Solmsen. “The World of the Dead in Book 6 of the Aeneid”. In: Harrison 1990, 208–223.
R. Tarrant. “Aeneas and the Gates of Sleep”. In: Classical Philology 77.1 (1982), 51–55.
D. A. West. “The Bough and the Gate”. In: Harrison 1990, 224–238.
R. D. Williams. “The Sixth Book of the Aeneid”. In: Harrison 1990, 191–207.
J. W. Zarker. “Aeneas and Theseus in ‘Aeneid’ 6”. In: The Classical Journal 62.5 (1967), 220–226.